🏳 Passt zum Thema: Wörterbuch der Fotografie
Für die nackigen zu angezogen, für die angzogenen zu nackig
Man möge es mir nachsehen, aber ich bin ein Beobachter. Vielleicht sogar ein „Auf-die-Waage“-Leger. Sicherlich bin ich aber jemand, der von Berufswegen neugierig ist und auf die Wirkung der eigenen Werke nach draußen achtet
Nun ist mir seit einer gewissen Zeit etwas aufgefallen: Ich befinde mich in einer In-Between-Situation. So quasi zwischen den Stühlen.
Mein Sujet, also mein Hauptmotiv in der Fotografie sind Menschen. Ich portraitiere Personen. Vornehmlich weibliche Personen, und ja, vornehmlich möchte ich eine gewisse Sensualität, eine gewisse Verführung, eine Sinnnlichkeit mit den Bildern bewirken. Dies geschieht bei mir immer individuell auf unterschiedliche Weise. Ich lasse der Person den ganzen Freiraum, den sie benötigt, um sich wohl zu fühlen. So kann man die Grenze von Attraktivität zu Sinnlichkeit und hin zur Verführung leichter überschreiten.
Wer meine Bilder - vor allem auf Instagram kennt - weiß, wie unterschiedlich die Motive sind, wie sich Darstellungen voneinander unterscheiden. So eben, wie die Menschen auf den Bildern sich ebenfalls unterscheiden.
„Ich sehe zu wenig Akt-Arbeiten bei dir!“
Für ein Projekt hab ich verschiedene Modelle via Instagram angeschrieben, ob sie sich eine Zusammenarbeit auf TfP-Basis mit mir vorstellen könnten. Dabei hab ich die Idee des Projektes beschrieben und was ich mir so vorstelle. Von denen, von denen ich eine Antwort erhielt kam verdächtig oft die Antwort: „Ich sehe gar keine Akt-Arbeiten bei dir." und sagten ab oder gaben Ihre Honorarvorstellungen durch.
„Deine Bilder sind mir zu nackt!“
Ein paar mal passierte mir aber auch folgendes. Im Zuge der Terminvorbereitung wurde ich gefragt, was ich mir so vorstellen würde. Meine Antwort: „Du kennst ja meine Bilder. Ich denke an Portraits mit dem gewissen versteckten Verführungsmoment". Darauf bekam ich die Antwort: „Deine Bilder sind mir zu nackt und das mach ich nicht."
Da war ich bisschen perplex. Warum? Naja, zum einen, weil man meine Bilder ja kennt, wenn man mich um ein Shooting bittet. Zum anderen, hat Verführung nichts mit nackter Haut zu tun. Wer meine Bilder anschaut, weiß, dass ich viel Wert auf Perspektive und z.B. die Augen, den Blick lege.
Das Leben ist nicht schwarz oder weiß
Warum ich das schreibe? Nun, weil ich langsam aber sicher bemerke, dass Instagram eine riesengroße Peep-Show geworden ist, mit einem unterirdischen Niveau und die Gesellschaft verdirbt vor allem was den künstlerischen Aspekt angeht. Das ist in etwa so, als würde man Capital Bra oder einer seinen Kollegen als Deutschlehrer einstellen.
Es scheint als sei Verführung Blankziehen; das gewisse Etwas seien Titten und Sinnlichkeit immer Akt.
Ich werde mein Fotografieren nicht ändern. Auch wenn ich mir mehr und mehr schwer tue das zu finden, was meinen Bildern gut tut.
Aber vielleicht sollten alle Fotografen mal ein wenig mehr an der Schärfe arbeiten. Nicht an der Schärfe der Bilder, an der Schärfe dessen was sie tun und wie sie es nennen.
Sonst wird aus jedem Kalauer, und sei er noch so schlecht, ein Epos.
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Reiner.renier (Sonntag, 19 Juni 2022 15:20)
Beim lesen dieses Artikels hab ich geschmunzelt ("CapitalBra als Deutschlehrer einstellen"), hab ich eine gute Anleitung für sinnlich-erotische Fotografien für mich entdeckt ("die Grenze von Attraktivität zu Sinnlichkeit und hin zur Verführung ... überschreiten") sowie mE berechtigte Kritk an Betreibern und Nutzern von socialmedia gelesen ("...dass Instagram eine riesengroße Peep-Show geworden ist, mit einem unterirdischen Niveau und die Gesellschaft verdirbt, vor allem was den künstlerischen Aspekt angeht.").
Aber noch ist Insta die beste Alternative zur einfachen weitreichenden Präsentation incl Rückmeldemöglichkeit und Kontaktaufnahme für Hobbyfotografen. Oder kennst du bessere?
Claus (Montag, 20 Juni 2022 14:41)
Hi Reiner,
schön, dass dir der Artikel gefallen hat. Nein, das ist ja das Dumme: Ich kenne keine andere Plattform, die Präsentation von Bildern und einen derart großen Community Charakter gleichzeitig bietet. Ein wahrliches Dilemma.
Gruß Claus