Es kann so nicht weitergehen - oder doch?
Wer meine Tätigkeit verfolgt, der weiß, dass ich gegen Mitte des Jahres die „Almost First Farewell Tour" ausgerufen habe. Ende 2022 soll Schluss sein. Der Hintergrund: Die Szene hat sich über die vergangenen Jahre der Corona-Pandemie so stark verändert, dass ich mich entschloss Abstand davon zu nehmen. Warum erst gegen Ende des Jahres? Weil ich noch viele Termine mit lieben Menschen hatte, die ich auf jeden Fall wahrnehmen wollte. Termine, die mich auch eine besseren belehren konnten.
Wege der Enttäuschung
Ich gebe es zu: Ich bin enttäuscht. Von vielen. Von vielem. Klar, zur Enttäuschung gehören immer zwei Seiten. Eine davon bin ich und an der kann ich arbeiten. Enttäuschungen sind nur das Resultat von zu hohen Erwartungen. Auch diese Weisheit ist mir bekannt und ja, sie trifft zu. Meine Erwartungen an das Jahr 2022, das für mich "Jahr eins" nach den dunklen ersten beiden Jahren der Pandemie war, waren hoch gesteckt.
Klar, dass man da leicht enttäuscht werden kann. Von Zusagen, die nicht eingehalten wurden; Fototermine aus denen so gut wie kein Foto resultierten, weil das Model schon mit den nächsten Shootings beschäftigt war; Absagen, die lausiger in ihrer Begründung nicht sein können und Kosten auf denen man als Fotograf sitzen bleibt.
Die Szene hat sich verändert
Ich denke, man kann es getrost so sagen und viele Gespräche mit anderen Fotografen bestätigen mir meine Beobachtungen: Die Szene heute ist eine andere wie noch vor 2020. Es ist zu beobachten, dass die Fotografie mehr und mehr zu einem Event wird, bei dem es weniger darum geht, am Ende des Prozesses schöne Fotografien in der Art von Kunst in der Hand zu halten. Auf beiden Seiten ist dies augenscheinlicher geworden: Fotografen, die aus Fototerminen Happenings machen - Studios und Locations buchen und bezahlen, um das gewisse Etwas zu bieten. Modelle einladen, am besten gleich in Gruppen. Dabei ist zu oft zu beobachten, dass es um nackt Haut geht. Je mehr, desto besser.
Und es wäre wohl nicht berichtenswert, wenn auf der anderen Seite Resultate zu sehen wären. All zu oft wird berichtet, dass bearbeitete Bilder auf sich warten lassen bis zu St. Nimmerleins-Tag.
Es ist ein Sumpf entstanden der alles vermischt und die Fotografie als Anlass und Alibi bemüht: Fotografen, die am liebsten im Rudel fotografieren, so viel nackte Haut wie möglich, so viele unterschiedliche Modelle wie möglich. Das Drumherum Sugar-Daddy-gleich bezahlt und organisiert.
Auf der anderen Seite: Models, die diesem Eifern gerne zur Verfügung stehen. Es geht um Namen, nicht um Bilder. Wer hat mit wem und wer hat noch nicht. Auf der anderen Seite Modele, die, weil sie mit einem oder zwei der geläufigen Namen fotografiert haben, auf einmal Honorar verlangen, um, wenn auch nicht professioneller als vorher, vor die Kamera zu stehen.
Den letzten Stoß verpassen Social Media Mythen: Bloß nicht folgen, nur folgen lassen. Bloß nichts liken oder gar auf likes reagieren. Ein Follower-Following-Verhältnis sei zu beachten. Je größer desto besser. (Was alleine schon mathematisch den Social Media Anbietern den Kragen kosten würden, wenn es denn stimmte.) Eine Größe, die, so ehrlich kann man sein, überhaupt keine Rolle spielt sondern nur ein Coolness-Faktor bedient. Ganz im Gegenteil zu einer echten Engagement-Rate. Nun gut, darüber mehr ein anderes Mal.
Will ich Teil dieser Szene sein?
Nein. ein solches "Model-Sammeln" oder "Rudel-Knipsen" ist nicht meiner Art, meine Passion auszuüben. Aber ist es noch eine Passion, wenn man nur frustriert ist? Lohnt es sich dann noch?
Fotografie ist für mich eine Leidenschaft des Bildes. Eine künstlerische Leidenschaft, die ich gerne mit anderen teile. Mit Menschen, die ebenfalls eine künstlerische Leidenschaft empfinden. Und genau diese Menschen zu finden ist sehr schwer und ich denke, dass die Suche nach diesen Menschen 2022 ein besonders schweres Unterfangen war, das zu so viel Frust geführt hat. Daher: Nein. Dieses Szene ist nicht meine Szene. Ich will kein Patreon-Zuhälter werden (sorry, Paid-Content-Manager) oder Fotograf, der für leidenschaftslose nackte Haut bezahlt. Auch kein Sugar-Daddy mit teuren Shooting-Events.
Was will ich?
Ich möchte Fotos gestalten, Momente inszenieren, Passion und Leidenschaft teilen und für die Nachwelt festhalten. Ich will nicht in diese Situation geraten, Bilder, die mir auch etwas bedeuten löschen zu müssen, weil das Model nun einen neuen Freund hat, der mit der Vergangenheit nicht klar kommt. ich will nicht betteln müssen, für Bilder oder Bildideen.
Was ich benötige sind Menschen, die ticken wie ich, die in Bildern mehr sehen als bloße Unterwäsche, T**ten und Är**e. Die Sinnlichkeit nicht mit bloßer Nacktheit verwechseln, Verführung immer nur mit Blankziehen verbinden.
Und kann ich das erreichen? Ich dachte nein. Daher der Entschluss, aufzuhören. Aber wenn ich aufhöre, was ist dann mit meiner Leidenschaft? Lass ich mir diese von anderen versauen?
Es wird sich einiges ändern.
2022 war für mich ein Schicksalsjahr - und vieles ist noch im Fluss. Aber eines weiß ich: Ich mache weiter. Aber zu anderen Konditionen. Daher ist es wirklich ein Abschied, wenn auch nur von einem Modus Vivendi, der bisher galt.
Ab sofort gilt für mich:
- ausgewählte Fotoprojekte mit Menschen, die so ticken wie ich
- Kooperationen und Austausch nur mit Fotografen/innen, die so ticken wie ich
- kein "shooten wir mal"
- nur noch ausgesuchte Modelle, die Lust auf gemeinsame Arbeiten haben.
- Model Calls statt Model Collection
- Qualität vor Quantität (weniger, dafür intensiver)
- Stammmodelle
und
- fernhalten von dieser Szene der Fames und Möchtegerns
- keine Pay-Shootings
PS: wer mich kennt, der weiß, dass ich kritisch bin. Der weiß auch, dass ich mir selbst Vorwürfe mache, dass ich zu schlecht bin, zu langsam, zu konservativ. Und ja, ich arbeite daran :)
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